Das Prozedere
Da ich eine solche Anhörung nach der Hälfte der verbüßten Halbzeit schon einmal erlebt hatte, wußte ich, was auf mich zukam.
Für ein halbstündiges Gespräch eine Unternehmung von morgens 7 Uhr bis mittags etwa 12 – 13 Uhr mit stundenlangem Warten in kalter Kellerzelle. Ich mußte also Decke, Sitzkissen, Gerichtsunterlagen bzw. Lesestoff und den üblichen Kleinkram – auf Proviant und Getränk verzichtete ich – mitnehmen. Das ging nicht bei wenigstens noch einer „Geh-Sicherheitshilfe“; ich brauchte also einen Rollator, da konnte ich dann auch die Beine auf der Ablage hochlegen, was nach dem Sturz empfehlenswert war. Es wurde auch genehmigt, was ich am Abend zuvor gegen 20 Uhr endlich erfuhr…!
Das war am 4. Dezember. Am 5. heißt es bereits im Beschluß: „…hat die Strafvollstreckungskammer Bielefeld durch die Richterin Oesker als Einzelrichterin beschlossen, daß der Strafrest nicht erlassen wird“.
Es war die gleiche Richterin wie bei der Halbzeitentscheidung. Darüber habe ich schon berichtet. Da ging es mir um den Mißbrauch bei einem Äußerungsdelikt, den es nicht geben kann.
Aus der damaligen Ablehnung wird am 4. Dezember übernommen: „…daß die Antragstellerin an den von ihr gezogenen Schlußfolgerungen bezüglich Auschwitz und Holokaust festhält und weiterhin nicht gewillt ist, die im Paragraph 130 StGB normierte Strafbarkeit ihres Handelns zu akzeptieren“.
Dabei wird aber zugegeben:
„Die Kammer übersieht nicht, daß die Vollzugsanstalt eine vorzeitige Entlassung befürwortet hat. Die Kammer folgt dem indes nicht…“
Was fällt hieran auf? Es wird peinlichst vermieden, die Persönlichkeiten zu benennen, die Derartiges entscheiden, schließlich kann das weder eine Kammer noch eine Anstalt.
Soll damit alles auf die junge Einzelrichterin Oesker abgewälzt werden?
Diese legte ihrer Entscheidung eine Vermutung zugrunde. Reicht das für die weitere Inhaftierung einer inzwischen 91-Jährigen?
Die Beurteilung des Verhaltens im mitmenschlichen Umgang ist positiv seitens der Leitung der JVA, die die Antragstellerin immerhin seit gut einem Jahr kennt.
Was fällt weiter auf?
Die Art der Straftat wird nicht benannt. In der Regel wird sie aber in Begründungen, insbesondere von Verurteilungen, genau angegeben.
Hier heiß es: „…die Antragstellerin hält an den von ihr gezogenen Schlußfolgerungen bezüglich Auschwitz und Holokaust fest. Sie sei nicht gewillt, die Strafbarkeit ihres Handelns zu akzeptieren.“
Aber was ist denn ihr Handeln, an dessen Folgerungen sie festhält? Das wird verschwiegen.
Die strafbare Handlung besteht in der bis heute (…)
Die Vermutung der Einzelrichterin Oesker bestand in der Feststellung: „Wenn ich Sie hier so vor mir sehe, dann bin ich sicher, daß Sie bei Freilassung genau so weitermachen werden mit Seminaren und Vorträgen und Herumreisen zu diesen Themen.“
„Wie kommen Sie darauf?“, war meine Entgegnung, „ich habe Ihnen doch gerade erklärt, daß ich zurzeit überhaupt nicht weiß, was mein Körper nach fast zwei Jahren Haft hergibt. Ich muß zunächst die dringenden ärztlichen Behandlungen absolvieren und außerdem will ich etwas ganz anderes, was meinem Alter besser entspricht: ich möchte eine Chronologie des Rechtslebens ab 1980 schreiben.“
Doch die Richterin, wahrscheinlich ein halbes Jahrhundert jünger als ich, fand offensichtlich ihre Vermutung realistischer – oder hatte den Auftrag, es so zu sehen.
Der Antrag auf Entlassung nach 2/3 der verbüßten Haftstrafe wurde abgelehnt.
Ursula Haverbeck